Die Ergebnisse der Interviews mit Kindern und Jugendlichen weisen auf ähnliche Probleme der Frage hin wie die Interviews mit den Eltern. Obwohl es sich hier um eine Selbstauskunft handelt, erinnern sich die Testpersonen nicht immer genau und beziehen zudem unterschiedliche Aktivitäten (fälschlicherweise) mit ein oder eben nicht. Tendenziell neigten auch die Jugendlichen eher dazu, ihr Bewegungsverhalten zu unter- als zu überschätzen und bei längerem Auseinandersetzen mit der Frage zu anderen Antworten zu kommen.
Die Verwendung der Skala aus Version 1 ist aus denselben fragebogenmethodischen Gründen wie bei der Erwachsenenzielgruppe beschrieben problematisch. Beispielsweise nannten zwei Jugendliche spontan Antwortkategorien, die zwischen den Antwortkategorien der Version 1 lagen. Daher empfehlen wir auch hier die Verwendung der Antwortskala in Version 2, wenngleich die möglichen Effekte der angebotenen Antwortoptionen auf das Antwortverhalten zusätzlich experimentell untersucht werden sollten.
Auch bei Befragung der Kinder und Jugendlichen sollte der gewählte Referenzzeitraum dem Ziel der Messung entsprechen. Um das durchschnittliche Bewegungsverhalten und nicht das Bewegungsverhalten einer bestimmten Untersuchungswoche zu erfassen, empfehlen wir, nach einer normalen Woche zu fragen. Dabei werden außergewöhnliche Wochen, wie bei Krankheit oder Urlaub, ausgeschlossen. Zur Erhebung desaktuellen Bewegungsverhaltens, d. h. in der vergangenen Woche, sollte der entsprechende Referenzzeitraum genau angegeben werden.
Grundsätzlich deuten die Ergebnisse des Pretests darauf hin, dass Jugendlichen ein weitestgehend einheitliches Verständnis „lebhafter Bewegung“ haben. In der Regel bezogen sie sich auf strukturierte Sportangebote, mit einem geringen Anteil an unstrukturierten Aktivitäten, wie mit Haustieren spielen oder toben. Zumindest bei den Jugendlichen ab 14 Jahren schien dies jedoch ihren Lebensumständen zu entsprechen. Die Erinnerungsleistung und ein einheitliches Verständnis könnten durch das Hinzufügen des Hinweises erreicht werden, dass sich die Atemfrequenz bei lebhafter Bewegung erhöht und man ins Schwitzen gerät. Die Hinzunahme des Beispiels „zügiges Laufen“ empfehlen wir aus dem Fragetext zu streichen, da es die Abgrenzung zu nicht lebhafter Bewegung schwammig macht. Eine mögliche Formulierung der Definition wäre:
Bezüglich des Befragungsmodus zeigten sich im kognitiven Pretest keine systematischen Unterschiede zwischen dem interviewer- und selbstadministrierten Modus. Grundsätzlich halten wir beim Thema dieser Frage jedoch einen selbstadministrierten Modus für empfehlenswert, da er zu einer längeren Auseinandersetzung mit der Definition lebhafter Bewegung einlädt und die Gefahr von sozial erwünschtem Antworten reduziert werden kann.
Informationen zur Frage:
Ziel der Frage ist es, zu erfassen, ob das zeitliche Ausmaß an körperlicher Aktivität von Kindern und Jugendlichen der aktuellen Bewegungsempfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entspricht. Die WHO empfiehlt durchschnittlich pro Tag mindestens eine Stunde moderate bis intensive körperliche Aktivität.
Version 1 der Frage an Kinder und Jugendliche wird mündlich, d. h. durch einen Interviewer administriert, und soll messen, wie lange der/die Jugendliche sich insgesamt in der letzten Woche in allen Lebensbereichen lebhaft bewegt hat. Die Antwortkategorie „mindestens 7 Stunden“ ist in dieser Version der Frage die zuletzt vorgelesene Antwortoption und entspricht der Bewegungsempfehlung der WHO. Version 1 wurde wie in der vorangegangenen telefonischen Umfrage ausschließlich Jugendlichen im Alter von 16 und 17 Jahren gestellt.
Version 2 der Frage wird schriftlich, d. h. selbst-administriert, präsentiert, und soll messen, wie lange der/die Jugendliche sich in einer normalen Woche in allen Lebensbereichen lebhaft bewegt. Die beiden untersten Antwortoptionen „7 bis unter 10 Stunden pro Woche“ und „10 Stunden und länger pro Woche“ entsprechen der Bewegungsempfehlung der WHO. Version 2 der Frage wurde wie in der geplanten schriftlichen Befragung Jugendlichen im Alter von 11 bis 17 Jahren gestellt.
Ziel der Testung:
Die Ziele der kognitiven Nachfragen bestanden darin herauszufinden,
a) wie die Kinder und Jugendlichen zu ihren Antworten kommen und ob es ihnen möglich ist, den zeitlichen Umfang ihrer körperlichen Aktivität einzuschätzen,
b) wie sie den Begriff „lebhaft“ verstehen und ob dieses Verständnis mit der Frageintention übereinstimmt,
c) welche Aktivitäten bei der Beantwortung der Frage mit einbezogen werden, und
d) auf welchen Zeitraum sich die Befragten beim Beantworten der Frage beziehen.
Zudem galt es, eventuelle Unterschiede zwischen den Frageversionen hinsichtlich dieser oder weiterer Aspekte zu identifizieren.
Befund:
Alle zwölf befragten Jugendlichen konnten die Frage beantworten. In der mündlich administrierten Version 1 wählte eine Testperson die unterste Antwort „mindestens 7 Stunden“, die der Bewegungsempfehlung der WHO entspricht. In der schriftlich administrierten Version 2 wählten fünf der sechs befragten Jugendlichen eine der beiden unteren Antwortoptionen, die der Empfehlung entsprechen.
Wie gehen die Befragten beim Beantworten der Frage vor?
Elf der zwölf Jugendlichen gaben an, bei ihrer Antwort in erster Linie geschätzt zu haben.
Nur eine Testperson bildete einen durchschnittlichen Tageswert bezüglich ihrer unstrukturierten sportlichen Aktivitäten wie Toben und summierte ihre Aktivitäten genau auf (TP13).
Im Vergleich zur Elternzielgruppe zeigten sich die Jugendlichen insgesamt überzeugt von der Richtigkeit ihrer Antworten. Allerdings zeugten ihre Antworten auf die kognitiven Nachfragen von Ungenauigkeiten und Inkonsistenzen, die im Folgenden näher erläutert werden:
Wie sicher sind sich die Jugendlichen, dass sie sich so viel bewegt haben bzw. bewegen, wie sie angegeben haben?
Auf direkte Nachfrage hin gaben fast alle Jugendlichen an, dass ihnen die Beantwortung der Frage „sehr“ oder „eher leicht“ gefallen sei und sie sich ihrer Antwort „sehr“ oder „eher sicher“ waren. Nur jeweils eine Testperson gab an, die Frage als „eher schwer“ zu empfinden bzw. sich ihrer Antwort „eher unsicher“ zu sein. Die Testperson, die angab, dass sie die Frage als „eher schwer“ empfand, war die einzige Testperson, die angegeben hatte, alle ihre Aktivitäten für alle Wochentage zeitlich beziffert und zusammengezählt zu haben. Im Gegenzug war sich diese Testperson ihrer Antwort „sehr sicher“ (TP23, schriftlich). Die eine Testperson, die sich ihrer Antwort „eher unsicher“ war, war sich deshalb unsicher, weil sie die Frage im Zuge der kognitiven Nachfragen nun anders auffasste und ihre Antwort ändern wollte (TP13, s.u.). Im Gegensatz zu den Antworten auf die expliziten Nachfragen zur Schwierigkeit der Frage und Sicherheit ihrer Antwort, zeugten indirekte Zeichen davon, dass nicht nur die beiden bereits erwähnten Jugendlichen die Frage teils unter Unsicherheit oder unter falschen Annahmen beantwortet hatten. Dies zeigte sich durch das Ändern der zunächst gegebenen Antworten und durch Inkonsistenzen zwischen den gegebenen Antworten und Begründungen.
Drei Jugendliche änderten im Zuge der kognitiven Nachfragen ihre Antworten (in Tabelle 4 werden die spontanen Antworten der Testpersonen angezeigt). Davon korrigierten zwei Testpersonen ihre Antworten nach oben und eine nach unten. In der mündlichen Version der Frage bezog sich eine Testperson zunächst nur auf die körperliche Aktivität, die sie in der laufenden Woche bis zum Tag des Interviews, das an einem Donnerstag stattfand, getätigt hatte. Im Zuge der Nachfragen wollte sie versuchen, ihre Aktivitäten zeitlich zu beziffern und fragte währenddessen nach, ob sie sich nur auf die laufende Woche beziehen solle und bat schließlich darum, die Frage noch einmal vorgelesen zu bekommen. Daraufhin bezog sie sich auf die letzte volle Woche vor dem Interview und änderte ihre Antwort auf „mindestens 7 Stunden“.
Eine zweite Testperson gab als Antwort „1 bis unter 4 Stunden pro Woche“ an. Im Zuge der kognitiven Nachfragen fiel ihr auf, dass sie den Schulsport nicht berücksichtigt hatte und kam beim Überschlagen auf einen Wert von sieben Stunden, woraufhin sie ihre Antwort auf „4 bis unter 7 Stunden pro Woche“ korrigierte. Allerdings hätte sie nach dieser Logik sogar korrekterweise die Antwort „7 bis unter 10 Stunden pro Woche“ auswählen müssen (TP20).
Die dritte Testperson, die ihre Antwort änderte, bildete zunächst einen Summenwert ihrer Schulsport- und Vereinsaktivitäten und addierte hinzu, wie viel sie täglich spielt und tobt, wobei sie auf einen Wert von ungefähr 15 Stunden pro Woche kam.
Im Zuge der Nachfragen revidierte die Testperson dann aber ihre Einschätzung deutlich von 15 Stunden auf etwa sieben Stunden pro Woche:
Was verstehen die Testpersonen darunter, sich „lebhaft zu bewegen“?
Für die allermeisten Jugendlichen bestand „lebhafte Bewegung“ vor allem aus intendierten, sportlichen Aktivitäten in Schule oder Freizeit:
In Übereinstimmung mit diesem sportlichen Fokus wurde von mehreren Testpersonen der Bezug zur allgemeinen Fitness und Gesundheit genannt:
Zudem nannte eine Testperson noch ihre Physiotherapie als Beispiel lebhafter Bewegung (TP18, schriftlich) und eine weitere im Garten mit dem Hund spielen (TP21, mündlich). Oftmals waren sich die Jugendlichen dessen bewusst, dass es auch andere Formen, sich lebhaft zu bewegen gibt, die aber in ihrem Alltag höchstens eine untergeordnete Rolle spielen. So erklärte eine Testperson, dass sie „durch das Haus laufen und Sachen erledigen“ auch als lebhafte Bewegung zählen würde, dies aber selbst kaum tue und es deswegen nur mit wenigen Minuten in ihrer Berechnung einfloss (TP17).
Freies Spielen und Toben auf dem Pausenhof wurden ausschließlich von zwei der jüngeren Kinder genannt:
Das Einbinden von Laufen und Gehen wurde von den Jugendlichen verschieden bewertet, wobei manche selbst zügiges Laufen explizit ausschlossen (TP15, 21, 23), während eine andere Testperson zunächst sogar „schlendern“ mit einbezog, ihre Meinung aber später änderte (TP13). Möglicherweise spielte hier der Befragungsmodus eine Rolle, da alle drei Testpersonen, die Laufen explizit ausschlossen, die Frage mündlich präsentiert bekamen und daher nicht den genauen Instruktionstext vor Augen hatten:
Deckt sich das Verständnis der Kinder/Jugendlichen mit der Definition der Frageentwickler*innen?
Auch den Kindern und Jugendlichen wurde zum Abschluss des Interviews die Definition „lebhafter Bewegung“ seitens der Frageentwickler*innen vorgelesen, um herauszufinden, ob diese Definition ihrem Verständnis des Begriffs entspreche. Elf der zwölf Jugendlichen bestätigten, dass sich ihr Verständnis „lebhafter Bewegung“ genau oder in großen Teilen mit der vorgelesenen Definition decken würde. Mehrere nannten bereits, bevor sie die Definition präsentiert bekamen, Symptome körperlicher Anstrengung beim Bewegen, wie ein erhöhter Kalorienverbrauch, ein Gefühl von Anstrengung oder einen erhöhten Puls:
Zwei Testpersonen erwähnten in diesem Zusammenhang, dass sie die beschriebenen Kriterien in der Definition nicht als hinreichend betrachteten, um lebhafte Bewegung zu definieren. Dennoch schien ihr Verständnis des Begriffs in Einklang mit der Definition zu sein:
Nur eine Testperson gab an, unter lebhafter Bewegung intuitiv die Freiwilligkeit der Aktivität verstanden zu haben:
Auf welchen Zeitrahmen beziehen sich die Befragten?
In der mündlichen Version der Frage wurden die Jugendlichen gefragt, wie viel sie sich „in der letzten Woche“ bewegt haben, wohingegen die Jugendlichen in der schriftlichen Version gefragt wurden, wie viel sie sich „in einer normalen Woche“ bewegen.
Von den sechs Jugendlichen, die nach der „letzten“ Woche gefragt wurden, bezogen sich zwei Jugendliche auf eine inkorrekte Zeitspanne. Eine Testperson, deren Interview an einem Donnerstag stattfand, zählte zunächst nur ihre Aktivitäten ab Montag und bemerkte: „die Woche ist ja noch nicht zu Ende, deswegen sind es bisher nur 3-4 Stunden.“ (TP23, mündlich). Im Zuge der Nachfragen bemerkte sie schließlich, dass sie den falschen Zeitraum angenommen hatte und berücksichtigte die letzte volle Woche von Montag bis Sonntag. Eine weitere Testperson berücksichtigte nur die Tage von Montag bis Freitag (TP21) und hinterfragte diese Zeitspanne zu keinem Zeitpunkt des Interviews. Eine dritte Testperson bezog sich auf eine „typische Woche“, wobei sie die vergangene Woche als typisch betrachtete:
Die verbleibenden drei Testpersonen zählten vom Tag des Interviews aus sieben Tage zurück (TP15) oder nahmen die letzte volle Woche von Montag bis Sonntag als Basis (TP14, 19).
In der schriftlichen Variante der Frage, in der es um eine „normale“ Woche ging, definierten alle Jugendlichen dies als eine Woche, die während der Schulzeit liege und sie ihre Hobbies gewohnt wahrnehmen (können).
Eine Testperson nannte zudem, dass normal beinhalte, dass sie sich mit ihrer Sportart in der Saison befinde, in der Ligaspiele stattfinden:
Eine Testperson gab an, sich an der vergangenen Woche orientiert zu haben:
Keine der Jugendlichen in Version 2 schien einen Durchschnittswert über einen längeren Zeitraum zu bilden oder reflektierte, dass sich ihre körperliche Aktivität nach Jahreszeit oder in der Ferienzeit unterscheidet.