Eine Auskunft über das Verhalten Dritter im Rahmen einer Befragung ist naturgemäß anfällig für Fehler. Zur detaillierten und genaueren Erfassung körperlicher Aktivitäten eignen sich daher insbesondere die Tagebuchmethode oder eine direkte Erfassung mittels Fitnesstrackern. Zu den Gründen für fehlerbehaftetes Antworten aufseiten der Eltern gehört insbesondere, dass sie nicht genau wissen, wie viel sich ihr Kind außerhalb strukturierter sportlicher Aktivitäten lebhaft bewegt. Dies könnte man begegnen, in dem man in separaten Fragen Daten zu strukturierten Angeboten, wie Sportunterricht oder Sportvereinen, und lebhafter Bewegung im Allgemeinen erhebt. Im Rahmen des Pretests unterschätzen sie das Bewegungsverhalten des Kindes häufiger, als dass sie es überschätzen.
Bezüglich der Antwortskalen ist die Verwendung der Skala aus Version 1 aus fragebogentechnischer Sicht in zweierlei Hinsicht problematisch. Zum einen sind die Antwortkategorien nicht erschöpfend (es fehlen die Zeiträume 2-3 Stunden, 4-5 Stunden und 6-7 Stunden), zum anderen ist es ungünstig, dass der von der WHO empfohlene Wert am Ende der Skala genannt wird. Da Befragte Skalen auch als Richtwert verstehen und die normale Verteilung eines Verhaltens daraus ableiten, neigen sie dazu, die Endpunkte von Antwortskalen zu vermeiden. Daher besteht bei der Skala aus Version 1 die Gefahr, das tatsächliche Bewegungsverhalten von Jugendlichen mit dieser Frageversion zu unterschätzen. Daher empfehlen wir die Verwendung der Antwortskala in Version 2, wenngleich die möglichen Effekte der angebotenen Antwortoptionen auf das Antwortverhalten zusätzlich experimentell untersucht werden sollten.
Der gewählte Referenzzeitraum sollte dem Ziel der Messung entsprechen. Wenn das Untersuchungsziel die Erfassung des durchschnittlichen Bewegungsverhalten ist, empfehlen wir, nach einer normalen Woche zu fragen. Damit werden Verzerrungen aufgrund von Krankheit oder Ferien ausgeschlossen. Allerdings kann es hierbei zu saisonalen Unterschieden kommen, die bei der Datenerhebung berücksichtigt werden sollten. Soll hingegen das aktuelle Bewegungsverhaltens erhoben werden, kann die Formulierung aus Version 1 beibehalten werden. Allerdings sollte der entsprechende Referenzzeitraum genau angegeben werden. Dies kann durch eine Definition sichergestellt werden, bspw. „…in der letzten vollständigen Woche von Montag bis Sonntag…“.
Grundsätzlich deuten die Ergebnisse des Pretests darauf hin, dass Eltern ein weitestgehend einheitliches Verständnis „lebhafter Bewegung“ haben und nicht nur strukturierte Sportangebote, sondern auch Alltagsaktivitäten in ihre Antworten einbeziehen. Das Verständnis könnte weiter vereinheitlicht werden durch den Hinweis, dass sich die Atemfrequenz des Kindes bei lebhafter Bewegung erhöht und es ins Schwitzen gerät. Die Hinzunahme des Beispiels „zügiges Laufen“ empfehlen wir aus dem Fragetext zu streichen, da es die Abgrenzung zu nicht lebhafter Bewegung schwammig macht. Eine mögliche Formulierung der Definition wäre:
Bezüglich des Befragungsmodus zeigten sich im kognitiven Pretest keine systematischen Unterschiede zwischen dem interviewer- und selbstadministrierten Modus. Grundsätzlich halten wir beim Thema dieser Frage jedoch einen selbstadministrierten Modus für empfehlenswert, da dadurch sozial erwünschtes Antworten reduziert werden kann.
Informationen zur Frage:
Ziel der Frage ist es, zu erfassen, ob das zeitliche Ausmaß an körperlicher Aktivität von Kindern und Jugendlichen der aktuellen Bewegungsempfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entspricht. Die WHO empfiehlt durchschnittlich pro Tag mindestens eine Stunde moderate bis intensive körperliche Aktivität. Die Frage wird Eltern von Kindern und Jugendlichen im Alter von 3 bis 15 Jahren gestellt.
Version 1 der Frage an Eltern wird mündlich, d. h. durch einen Interviewer administriert und soll messen, wie lange das Kind sich insgesamt in der letzten Woche in allen Lebensbereichen lebhaft bewegt hat. Die Antwortkategorie „mindestens 7 Stunden“ ist in dieser Version der Frage die zuletzt vorgelesene Antwortoption und entspricht der Bewegungsempfehlung der WHO.
Version 2 der Frage wird schriftlich, d. h. selbst-administriert, präsentiert, und soll messen, wie lange das Kind sich in einer normalen Woche in allen Lebensbereichen lebhaft bewegt. Die beiden untersten Antwortoptionen „7 bis unter 10 Stunden pro Woche“ und „10 Stunden und länger pro Woche“ entsprechen der Bewegungsempfehlung der WHO.
Ziel der Testung:
Die Ziele der kognitiven Nachfragen bestanden darin herauszufinden,
a) wie die Befragten zu ihren Antworten kommen und ob es ihnen möglich ist, den zeitlichen Umfang der körperlichen Aktivität ihres Kindes einzuschätzen,
b) wie sie den Begriff „lebhaft“ verstehen und ob dieses Verständnis mit der Frageintention übereinstimmt,
c) welche Aktivitäten bei der Beantwortung der Frage mit einbezogen werden, und
d) auf welchen Zeitraum sich die Befragten beim Beantworten der Frage beziehen.
Zudem sollten eventuelle Unterschiede zwischen den Frageversionen hinsichtlich dieser oder weiterer Aspekte identifiziert werden.
Befund:
Alle zwölf befragten Eltern beantworteten die Frage. In der mündlich administrierten Version 1 wählten zwei der sechs Testpersonen die unterste Antwort „mindestens 7 Stunden“, die der Bewegungsempfehlung der WHO entspricht. In der schriftlich administrierten Version 2 wählten fünf der sechs befragten Eltern eine der beiden unteren Antwortoptionen, die der Empfehlung entsprechen.
Wie gehen die Befragten beim Beantworten der Frage vor?
Bei den meisten Testpersonen (n = 11) stellte die gewählte Antwort eine Mischung aus einer Aufsummierung regelmäßiger, strukturierter körperlicher Aktivitäten (bspw. Sportunterricht oder Vereinssport) und einer Schätzung nicht-strukturierter Aktivitäten (bspw. toben in der Kita, während der Pause oder zu Hause) dar. Fünf dieser zehn Eltern bildeten dazu einen durchschnittlichen Tageswert, den sie dann auf die Woche hochrechneten, bzw. bildeten einen Wert für einen durchschnittlichen Werktag und schätzten dann das Wochenende (TP01, 02, 06, 11, 12). Hierbei machte es keinen Unterschied, ob die Testpersonen die Frage mündlich oder schriftlich gestellt bekamen (mündlich: n = 2; schriftlich: n = 3):
Eine Testperson gab an, einen reinen Schätzwert gebildet zu haben (TP05).
Eltern älterer Kinder orientierten sich stärker an strukturierten sportlichen Aktivitäten, bspw. in Vereinen und im Schulsport, und summierten Bewegung hinzu, die durch Fahrradfahren oder andere Fortbewegungsmittel zu diesen Aktivitäten oder zu Verabredungen zustande kamen:
Eltern jüngerer Kinder nannten teilweise auch Vereinsaktivitäten, Schwimmkurse oder den Weg zur Kita. Allerdings bestand ein größerer Teil der lebhaften Bewegungen der Kinder aus freiem Spiel und toben, vor allem während der Kita, aber auch auf Spielplätzen, zu Hause oder unterwegs. Die zwei Eltern, die angaben, einen reinen Schätzwert gebildet zu haben (und keinerlei Summenbildung), waren entsprechend Eltern von Kindern im Kindergartenalter (TP05, 11).
Unabhängig vom Alter des Kindes und Befragungsmodus erklärten Eltern übereinstimmend, dass sie die Gesamtzeit der lebhaften Bewegung ihres Kindes nicht genau angeben könnten, weil sie nicht genau wüssten, wie viel sich ihr Kind außerhalb von für Sport festgelegten Zeiten bewege. Dies führte zu den bereits erwähnten Mischstrategien, die ein (vermeintlich) präzises Aufsummieren und eine ungefähre Schätzung kombinierten.
Insgesamt traten seitens der Elternzielgruppe die folgenden Probleme – häufig in Kombination – auf, die in den folgenden Abschnitten näher erläutert werden:
Wie schwer ist es den Eltern gefallen anzugeben, wie viel sich ihr Kind bewegt und wie sicher sind sie sich ihrer Antworten?
Die Frage wurde von sieben der zwölf interviewten Eltern als „eher schwer“ eingeschätzt, wobei es keine Unterschiede nach Befragungsmodus gab (mündlich: n = 3; schriftlich: n = 4). Die genannten Gründe dafür, dass Eltern die Beantwortung der Frage als „eher schwer“ empfanden, hingen vor allem mit den nicht strukturierten körperlichen Aktivitäten der Kinder und Jugendlichen zusammen. So nannten mehrere Testpersonen, dass sie zunächst reflektieren mussten, welche Aktivitäten sie neben Sportunterricht und Vereinssport genau dazu zählen sollten (TP03, 04, 07). Darüber hinaus fiel es ihnen schwer einzuschätzen, wie viel Zeit die Kinder und Jugendlichen mit nicht strukturierten körperlichen Aktivitäten verbringen. Dies lag sowohl daran, dass Eltern ihr Kind in der Kita oder während der Pausen in der Schule nicht direkt beobachten (TP05, 07, 11), als auch daran, dass das Spielen und Toben in der Freizeit schwierig zeitlich einzuschätzen ist (TP03, 12). In der schriftlichen Version der Frage kam hinzu, dass die Testpersonen einen Durchschnittswert bilden mussten, wie viele solcher nicht-strukturierten körperlichen Aktivitäten sie durchschnittlich hinzurechnen sollten:
Insgesamt gaben vier Testpersonen (TP04, 07, 09, 12) an, sich „eher unsicher“ zu sein, ob die von ihnen ausgewählte Antwortoption stimmt. Es bestand kein Unterschied bezüglich der Sicherheit der Antwort zwischen den Versionen (mündlich: n = 2; schriftlich: n = 2). In allen Fällen betraf diese Unsicherheit Eltern, die nicht die Antwortoption mit der höchsten Stundenanzahl gewählt hatten (mündlich: maximal „5 – 6 Stunden“; schriftlich: maximal „7 bis unter 10 Stunden pro Woche“). In allen Fällen hinterfragten Eltern, ob sich das Kind nicht mehr bewege bzw. bewegt habe als sie angegeben hatten:
In Übereinstimmung mit der subjektiv empfunden Unsicherheit der Testpersonen, deuteten die Angaben von mindestens drei Testpersonen im Verlauf der gestellten Nachfragen darauf hin, dass die von ihnen gewählte Antwortoption zu niedrig war (TP04, 05, 09). Im Falle einer Testperson ergab die Summe der Aktivitäten, die sie nannte, 7,5 bis 8,5 Stunden in der letzten Woche, die gewählte Antwort lautete aber „5 – 6 Stunden“ (TP04). In einem weiteren Fall wählte die Testperson ohne zu zögern die Antwortkategorie „5 – 6 Stunden“, sprach aber später davon, dass sie auf sieben Stunden Aktivität käme, ohne die Inkonsistenz zu bemerken (TP05). Im dritten Fall stellte sich im Laufe des Interviews heraus, dass das Elternteil den Schulsport vergessen hatte (TP09, Antwort: „5 – 6 Stunden“).
Was verstehen die Testpersonen darunter, dass sich ihr Kind „lebhaft bewegt“?
Alle Eltern verstanden unter „lebhafter Bewegung“ sowohl strukturierte körperliche Aktivität wie Sport in der Kita, Schule oder dem Verein, als auch körperliche Aktivität, die außerhalb der festen Angebote oder auf dem Weg zu einem Ort geschieht. Eltern, deren Kinder eine längere Strecke zur Schule mit dem Fahrrad zurücklegten, inkludierten dies. Nur in einem Fall war sich ein Elternteil unsicher, ob Fahrradfahren beim Schulweg ihres Kindes lebhafte Bewegung darstelle („Also ich habe das Fahrradfahren zur Schule dazugezählt, bin mir aber ein bisschen unsicher, denn da sind viele Ampeln und dann steht er.“, TP07). Freizeitaktivitäten wie schwimmen gehen, fangen spielen oder Inlineskates fahren wurden regelmäßig genannt:
Einige Eltern nannten auch Aktivitäten wie gärtnern und zügiges Gehen:
Zwei Eltern betonten, dass sich „lebhaft bewegen“ für sie stark damit verbunden sei, dass das Kind diese körperliche Aktivität freiwillig und mit Freude ausübt:
Deckt sich das Verständnis der Eltern mit der Definition der Frageentwickler*innen?
Am Ende der kognitiven Fragen wurden den Testpersonen die Definition „lebhafter Bewegung“ seitens der Frageentwickler*innen vorgelesen und sie wurden gefragt, ob diese Definition ihrem Verständnis des Begriffs entspreche. Neun der zwölf Eltern bestätigten, dass sich ihr Verständnis „lebhafter Bewegung“ genau oder in großen Teilen mit der vorgelesenen Definition decken würde. Mehrere Eltern nannten bereits, bevor sie die Definition präsentiert bekamen, Symptome körperlicher Anstrengung beim Bewegen, wie einen erhöhten Puls, bzw. schlossen Aktivitäten, die keine Anzeichen körperliche Anstrengung erzeugten, aus:
Zwei der drei Testpersonen, die angaben, dass ihr Verständnis sich nur teilweise mit der vorgelesenen Definition deckten, erklärten, dass das Einbeziehen von zügigem Laufen in der Definition bzw. bereits im Fragetext sie irritiert hatte (TP03, 12). So hatte eine Testperson aufgrund des Begriffs „zügiges Laufen“ im Fragetext – ohne den Zusatz, dass sich die Atemfrequenz erhöhe oder das Kind ins Schwitzen gerate – eine sehr breite Definition lebhafter Bewegung angenommen hatte, die durch die vorgelesene Definition wieder eingeschränkt wurde.
Die dritte Testperson, die angab, dass ihr eigenes Verständnis nur teilweise mit der vorgelesenen Definition übereinstimmt, erklärte, dass die Erhöhung der Atemfrequenz kein Bestandteil ihres Verständnisses gewesen sei, sondern die Freude an der Bewegung für sie im Vordergrund stand (TP05).
Auf welchen Zeitrahmen beziehen sich die Befragten?
In der mündlichen Version der Frage wurden die Eltern gefragt, wie viel sich ihr Kind „in der letzten Woche“ bewegt hat, wohingegen die Eltern in der schriftlichen Version gefragt wurden, wie viel sich ihr Kind „in einer normalen Woche“ bewegt.
Von den sechs Eltern, die nach der „letzten“ Woche gefragt wurden, bezogen sich jeweils zwei auf die letzten sieben Tage vor dem Interview, zwei auf die letzte vollständige Woche von Montag bis Sonntag und zwei auf eine typische Woche. Ob sich die Testpersonen auf einen konkreten Zeitraum bezogen oder auf eine typische Woche, wirkte sich darauf aus, ob sie ungewöhnliche Ereignisse in ihre Berechnung mit einbezogen. Beispielsweise gab eine Testperson, die sich an einer typischen Woche orientiert hatte, an, dass die Familie in der vergangenen Woche einen Ausflug gemacht hatte, sie diesen aber nicht berücksichtigt hatte (TP08). Im Gegensatz erklärte eine Testperson, die sich auf die letzten sieben Tage bezogen hatte, dass das Kind sich überdurchschnittlich viel lebhaft bewegt habe, da im Vorfeld eines Umzugs viel Aufräumen und Packen angestanden hatte, bei dem das Kind geholfen hatte (TP05).
In der schriftlichen Variante der Frage, in der es um eine „normale“ Woche ging, definierten alle Eltern dies als eine Woche, die während der Schulzeit liege, keine Feiertage beinhalte, das Kind gesund sei und es keine außerplanmäßigen Ausfälle gebe („Eine normale Woche ist alles, wo es keine Feiertage, Ferien, bewegliche Ferientage, Konzeptionstage oder sonstige Sperenzchen in der Kita gibt.“, TP03). Insgesamt deuteten die Antworten von drei Eltern darauf hin, dass es deutliche saisonale Effekte bei der Beantwortung der Frage geben könnte. Eine Testperson fragte spontan nach, ob sich die Frage nur auf „die aktuelle Situation oder das letzte Jahr“ (TP06) beziehe. Eine weitere Testperson stellte fest, dass sie eine deutlich geringere Anzahl Stunden gewählt hätte, wenn sie die Frage im Winter gestellt bekommen hätte, wenn die Kinder weniger Zeit an der frischen Luft mit Toben verbringen. Diese Testperson hatte angegeben, dass sich ihr Kind in einer durchschnittlichen Woche 10 Stunden oder mehr bewege. Im Winter hätte sie die Bewegung auf 6 – 8 Stunden in einer normalen Woche geschätzt und hätte somit zwischen den Kategorien „4 bis unter 7 Stunden“ und „7 bis unter 10 Stunden“ entscheiden müssen (TP03). Eine weitere Testperson bemerkte, dass das Interview am ersten Ferientag stattfinde, und sie eventuell die Ferienzeit als „normal“ betrachten würde, wenn die Frage zum Ende der Ferienzeit gestellt werden würde (TP07).