PIAAC-Longitudinal (PIAAC-L) 2016 - Hintergrundfragebogen

Einleitungstext:

Folgende Aussagen beziehen sich auf Ihre Herkunftskultur, d.h. die Kultur, in der Ihre Eltern geboren wurden. Wenn Ihre Eltern aus verschiedenen Kulturen stammen, dann denken Sie bitte an die Kultur, die Sie selbst am meisten geprägt hat.

Fragetext:

Inwieweit stimmen Sie folgenden Aussagen zu oder nicht zu?

Antwortkategorien:

Stimme überhaupt nicht zu
Eher nicht zu
Teils, teils
Eher zu
Voll und ganz zu
Frage 3 wurde allen Testpersonen gestellt. Die Antwortkategorie „stimme überhaupt nicht zu“ wurde bei keinem Item gewählt. Generell ist eine Tendenz zur Zustimmung bei allen drei Items zu beobachten.

Das zentrale Thema der Frage 3 ist die Herkunftskultur der Testpersonen. Um das Verständnis dieses Begriffes und die Assoziationen der Testpersonen genauer nachvollziehen zu können, wurden die Testpersonen gefragt, was sie unter dem Begriff „Herkunftskultur“ verstehen und ob sie Beispiele nennen können, was für ihre Herkunftskultur typisch sei.

Die Mehrheit der Testpersonen nennt auf die Frage, was sie denn unter dem Begriff „Herkunftskultur“ verstehen, Überbegriffe wie „gewisse Werte“ (TP 01), „Religion, Rituale, Traditionen“ (TP 08) oder „Leute, die ähnliche Gepflogenheiten haben“ (TP 15). Beschreibungen dieser Art wurden 11 Mal abgegeben (TP 01, 02, 03, 05, 07, 08, 09, 10, 11, 12, 15). Als konkrete Beispiele, was für die Herkunftskultur typisch sei, wurden von den Testpersonen unterschiedliche Dinge genannt. Fünf Testpersonen (TP 01, 02, 07, 12, 15) ohne Migrationshintergrund geben als Beispiel „deutsche Tugenden“ an:
  • „Für mich ist das dieses pünktlich sein, korrekt sein, ehrlich sein.“ (TP 02)
  • „Typisch Deutsch. So Werte, die ich von meinen Eltern mitgekriegt habe. Ob das typisch Deutsch ist, weiß ich nicht, ich denke aber schon. Fleiß, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit.“ (TP 07)
  • „Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Mitmenschlichkeit, Geselligkeit, Traditionen.“ (TP 15)
Die Testpersonen mit Migrationshintergrund spezifizieren Besonderheiten ihrer Herkunftskultur nicht weiter, sondern betonen „Glaube, die Traditionen und Bräuche“ (TP 11) oder „bestimmte religiöse Feste“ (TP 08). Der Begriff Herkunftskultur ist für Testperson 06 leicht irreführend. Sie verbindet damit eigentlich eher „die Vergangenheit, die Historie. Vor allem historische Momente und die alten Gebäude. […] Kultur bezieht sich auf Kunst, Bücher“ (TP 06).

Bei Testperson 05 wird anhand der Beispiele deutlich, dass sie bei dem Begriff Herkunftskultur eher an regionale Besonderheiten gedacht hat. So beschreibt sie die pfälzische Lebensart wie „das heimatliche Essen. Die Art Feste zu feiern, Menschen sitzen zusammen und erzählen. Typisch pfälzische Weinfeste.“

Testperson 05 zählt auch zu den drei Testpersonen (TP 01, 05, 10 ohne Migrationshintergrund), die Religion als Aspekt von Herkunftskultur nennen. Testperson 05 führt „religiöse Feste wie Taufe, Erstkommunion, Firmung und so“ auf, die Testpersonen 01 und 10 nennen hier „bei der Religion hauptsächlich das Christentum, aber dass auch andere Religionen respektiert werden“ (TP 01) bzw. „christliche Kultur“ (TP 10).

Die Testpersonen 13 und 14 beschreiben auf die Frage, was sie unter Herkunftskultur verstehen, ihren persönlichen, familiären Hintergrund. Testperson 13 berichtet, „man ist geprägt durch das Umfeld“ und auf die Bitte ein typisches Beispiel zu nennen, antwortet Testperson 13 „Armut“. Auch Testperson 14 bezieht sich auf ihre „Eltern oder Großeltern“ , die aus dem „Arbeitermilieu oder Mittelstatus“ kamen. Für Testperson 14 gilt die Devise: „Man soll nicht vergessen, wo man herkommt.“ Es muss an dieser Stelle betont werden, dass diese beiden Testpersonen (TP 13: Jahrgang 1948, TP 14: Jahrgang 1945) die ältesten Teilnehmer sind und beim Beantworten vorwiegend an ihre familiäre Herkunft, aus welchem Milieu sie stammen, denken.

Auch bei den Antworten der Testpersonen 03 und 10 – beide genau wie TP 13 und 14 mindestens in zweiter Generation Deutsche – wird deutlich, dass sie sich mit dem Begriff der Herkunftskultur schwertun. Testperson 03 hat zwar eine Vorstellung davon, was mit dem Begriff gemeint ist, verspürt aber keine persönliche Verbindung zu ihrer Herkunftskultur, „weil ich mit meiner Herkunft keine bestimmte Kultur verbinde. […] Das fällt mir sehr schwer zu beantworten. Witzigerweise ist es klar, was Herkunftskultur für andere bedeutet, aber wenn ich mich betrachte, dann frage ich mich, ist meine Herkunftskultur Biertrinken, Sauerkrautessen oder so? Vielleicht ist es in Deutschland auch schwierig, da wir ein Einwanderungsland sind und so viele Einflüsse von außen haben“ (TP 03). Die Ausführung von Testperson 10 spiegelt ein ähnliches Problem wider. Sie sagt zwar, dass es um Werte und Normen des Herkunftslandes geht, „aber für was steht die deutsche Kultur? Multikulti fällt mir da ein. Es gibt viele Kulturen hier. […] Wenn ich im Ausland leben würde und man mir dann die Frage stellen würde, könnte ich sie vielleicht besser beantworten“ (TP 10).

Auch Testperson 04 hatte Probleme mit dem Begriff „Herkunftskultur“. Sie antwortet auf die gestellten Fragen recht neutral mit: „Das ist die Herkunftskultur meiner Eltern.“ Als Beispiele führt sie „Sprache, Traditionen und soziale Interaktionen“ an. Der Hintergrund dieser Problematik wurde im Verlauf des Interviews klar: beide Elternteile von Testperson 04 stammen aus China, sie ist aber in Italien geboren und aufgewachsen, bevor sie im Alter von elf Jahren nach Deutschland kam. Sie weist daher drei unterschiedliche kulturelle Hintergründe auf. Frage 3 bezieht sich auf die chinesische Herkunftskultur ihrer Eltern, Testperson 04 reiste aber lediglich im Rahmen eines Austauschprogramms in die kulturelle Heimat ihrer Eltern. Sie stimmt den einzelnen Aussagen von Frage 3 zwar zu, durch die Nachfragen wird aber ersichtlich, dass sie die geäußerte Verbindung zur chinesischen Herkunftskultur nur gering verspürt: „Wenn man mich fragt, dann sage ich, dass ich Chinesin bin. Aber ich fühle mich zu keinem Land besonders emotional verbunden.“ Für sie besteht eine starke Verbundenheit zu ihrer Familie, die hier in Deutschland wohnt: „Ich fühle mich hier wohl, weil sie hier sind. […] Das ist nicht landesabhängig sondern personenabhängig“ (TP 04).

Zu dem Begriff Herkunftskultur lässt sich festhalten, dass eine enorme Bandbreite des Begriffsverständnisses vorliegt. Das Verständnis reicht von „deutschen“ Tugenden, über die Historie eines Landes bis hin zum familiären Hintergrund und beinhaltet auch Traditionen und Wertvorstellungen.

Darüber hinaus sei an dieser Stelle darauf hingewiesen (siehe auch Frage 2), dass die Instruktion in der Frage, das Augenmerk auf die Herkunftskultur der Eltern zu richten, bei Befragten mit multikulturellen Hintergründen zu Unklarheiten führen kann. Durch eine separate Erfassung, welche andere Herkunftskultur die Befragten Ihrer Einschätzung nach geprägt hat, könnte dies vermieden werden.

Die zentralen Fragen, die durch den Pretest beantwortet werden sollten, waren: Erstens, wie wird der Begriff Herkunftskultur verstanden und besitzt er eine affektive Tönung? Zweitens, ist die Aussage b) zu komplex und drittens, wird Aussage c) als redundant zu Aussage a) wahrgenommen?

Zur ersten Frage kann zusammenfassend festhalten werden, dass auf Nachfrage ein großer Teil der Testpersonen beim Begriff Herkunftskultur das gleiche Konstrukt beschreibt: sie nennen Werte, Traditionen und Brauchtum. Konkreter beschreiben, was für sie persönlich ihre individuelle Herkunftskultur ausmacht und welchen Bezug sie dazu haben, kann nur noch die Hälfte der Befragten. Den Testpersonen mit Migrationshintergrund scheint dies deutlich leichter zu fallen als denen ohne Migrationshintergrund. Auch die Beantwortung der einzelnen Items bereitet ausschließlich den „deutschen“ Testpersonen Schwierigkeiten. Das Konzept der Herkunftskultur und die Zugehörigkeit zu dieser sind für Menschen, die Wurzeln in unterschiedlichen Kulturen haben, offenbar präsenter.

Der Begriff der Herkunftskultur ist per se nicht affektiv getönt, jedoch rechtfertigen sich drei deutsche Testpersonen bei der Beantwortung der Items damit, dass sie aber nicht zu „Pegida“ gehören, nur weil sie den Aussagen zustimmen.

Die zweite Frage, ob Aussage b) zu komplex ist, kann mit „Ja“ beantwortet werden. Zwei Testpersonen verweigern eine Antwort. Die eine weil ihr nicht klar ist, was ihr laut dieser Aussage klar sein soll, die andere weil sie nicht weiß, worin sich die Bedeutsamkeit niederschlage. Zwei weitere Testpersonen entscheiden sich für die Mittelkategorie, weil ihnen die Aussage unklar ist. Die Antworten von zwei anderen Testpersonen sind beeinflusst durch die Unsicherheit, was nun genau unter Herkunftskultur zu verstehen sei. Die Erklärungen der meisten Testpersonen beziehen sich auch nur auf den zweiten Teil der Aussage b). Sie beschreiben, welche Aspekte ihre jeweilige Herkunftskultur für sie von Bedeutung sind. Der erste Teil der Aussage, der sich auf das darüber bewusst sein, welche Bedeutung die Zugehörigkeit hat, bezieht, sorgt entweder für Unklarheit oder wird zumeist einfach ignoriert.

Aussage c) wird von zwei Drittel der Testpersonen als redundant zu Aussage a) wahrgenommen. Lediglich vier Testpersonen sehen einen Unterschied zwischen den beiden Formulierungen. Dieser besteht darin, dass die Verbundenheit zur Herkunftskultur eine emotionale Komponente aufweist, während die Zugehörigkeit primär auf „neutraler“ Zuschreibung basiert. Aussage a) erzielt infolgedessen viel Zustimmung, nur vier Testpersonen wählten hier „teils, teils“, keine stimmte der Aussage nicht zu. Da man keinen Einfluss auf die Zugehörigkeit zur eigenen Herkunftskultur hat, da sie einem quasi von Geburt an vorgegeben wird, ist die Wahrscheinlichkeit eine breite Streuung in den Antwortkategorien zu erhalten eher gering. Die nähere Beschreibung der Zugehörigkeit durch das Adjektiv „stark“ wurde nicht thematisiert. Eine gefühlsmäßige Verbindung zu seiner Herkunftskultur verspürt man nicht zwangsläufig deshalb, „weil man halt dort geboren wurde“. Daher ist Aussage c) vorzuziehen. Außerdem entspricht Aussage c) der Formulierung der darauffolgenden Frage 4, die an Menschen mit Migrationshintergrund gestellt wird, um ihre Verbundenheit mit der deutschen Kultur auszudrücken.

Eingesetzte kognitive Technik/en:

Comprehension Probing, Category Selection Probing, Specific Probing
Itemtext Aktiv getestet

Itemtext:

a) Ich fühle mich meiner Herkunftskultur stark zugehörig.

Empfehlungen:

Da zwischen Item a) und Item c) von den Befragten inhaltlich kein Unterschied wahrgenommen wird und Item c) noch besser differenziert, empfehlen wir Aussage a) ersatzlos zu streichen.
Ja

Itemtext:

b) Mir ist ziemlich klar, was die Zugehörigkeit zu meiner Herkunftskultur für mich bedeutet.

Empfehlungen:

Die Intention des Items ist sehr unklar, was auf die vage Formulierung der gesamten Aussage zurückgeführt werden kann. Wenn mit dem Item die Bedeutsamkeit der Herkunftskultur erfragt werden soll, empfehlen wir Aussage b) wie folgt umzuformulieren:
Die Zugehörigkeit zur [deutschen/ polnischen/ türkischen/ kurdischen etc.] Kultur bedeutet mir viel.

Wenn mit dem Item allerdings erfasst werden soll, ob den Testpersonen bewusst ist, welche Kriterien die Zugehörigkeit zur Herkunftskultur der Eltern ausmachen, dann empfehlen wir folgende Formulierung:
Ich weiß, was mich zu einem Teil der [deutschen/ polnischen/ türkischen/ kurdischen etc.] Kultur macht.

Ja

Itemtext:

c) Ich fühle mich meiner Herkunftskultur eng verbunden.

Empfehlungen:

Ich fühle mich der [deutschen/ polnischen/ türkischen/ kurdischen etc.] Kultur eng verbunden.
Ja