Übersetzungen etablierter Skalen aus dem Bereich Public Health in das Arabische und Dari (ENSURE)
Fragetext:
Wenn Sie an Ihre Zeit in Deutschland denken, wie oft wurden Sie in alltäglichen Situationen diskriminiert? (Wahr_Diss)
Antwortkategorien:
Nie
Selten
Manchmal
Oft
Immer Keine Angabe
Befund/Empfehlungen zur Multi-Item-Skala
Systematisch getestet wurden der einleitende Fragetext und Item 4. Zu den anderen Items liegen – wenn überhaupt – nur spontane Reaktionen der Testpersonen vor.
Einleitender Fragetext) Was verstehen die Testpersonen unter „diskriminiert werden“ und was zählen sie zu „alltäglichen Situationen“, in denen dies passiert?
Die Testpersonen zeigten ein sehr breites Verständnis von Diskriminierung, das weiter reichte als der Ausdruck von Vorurteilen oder einer Benachteiligung und insbesondere offene Fremdenfeindlichkeit, verbale und sogar physische Gewalt einbezog. Eine Testperson betonte, dass Diskriminierung viele Facetten von Kleinigkeiten bis hin zu gravierenden Erlebnissen beinhalte (DA04). Die meisten Testperson nannten entsprechend mehrere und verschieden drastische Formen der Diskriminierung: Diskriminierung zeige sich darin, wie man behandelt werde, in Worten oder Beleidigungen, mit Blicken, wie man selbst und die eigene Leistung beurteilt werde und zuletzt in körperlicher Gewalt. Am häufigsten gaben die Testpersonen an, aufgrund äußerlicher Merkmale Diskriminierung zu erfahren oder mitzubekommen. Dazu zählten insbesondere das Tragen eines Kopftuches (SY02, SY03, SY06, IR01, IR03, IR06, DA05), aber auch ein ausländisches oder arabisches Aussehen (SY02, IR03, DA01), bspw. durch das Tragen eines Barts (SY02) oder durch die Kleidung (DA05). Daneben wurden die Sprache (DA05) und Anzahl Kinder (SY06, IR02) als Gründe für Diskriminierungen genannt.
Bei den alltäglichen Situationen, in denen sie Diskriminierung erfahren hatten, bezogen sich die Testpersonen vor allem auf Vorfälle im öffentlichen Raum, d. h. auf der Straße, in Geschäften, in öffentlichen Verkehrsmitteln, bei Bewerbungen oder im Berufsleben. Zu den Erfahrungen in öffentlichen Verkehrsmitteln erzählte eine Testperson, dass ihr nicht immer die Tür aufgemacht werde, wenn sie einsteigen wolle; komme aber eine deutsche Person dazu, würde die Tür aufgehen (IR01). Zwei weitere erzählten, Deutsche vermieden es, sich im Bus oder in der Straßenbahn neben sie zu setzen und sie neben sich setzen zu lassen; sie würden zur Not die Sitze mit Taschen belegen (SY02, IR06). Eine Testperson erwähnte, sie sei im Bus im Beisein ihrer Kinder von Menschen, die sie beschuldigten, sie würde den Deutschen alles wegnehmen, beleidigt und angeschrien worden (IR02).
Insbesondere die arabischsprachigen Testpersonen erzählten von Diskriminierung speziell ge-genüber Migrantinnen. So berichtete eine Testperson, wie eine deutsche Frau auf offener Straße ihre Kinder betont gezählt habe, um anzudeuten, dass sie zu viele Kinder habe (IR01). Eine weitere Testperson erzählte, wie sich eine Frau auf offener Straße vor einem fremden Menschen für ihr Kopftuch habe rechtfertigen sollen (IR03). Eine dritte sei auf dem Bürgersteig von jungen Männern aus dem Auto angespuckt worden und unhöfliche Handzeichen erhalten haben (SY03). Zudem erzählten zwei Testpersonen von Gewalt gegen Frauen. Jemand Fremdes habe der Ehefrau einer Testperson auf offener Straße ohne Anlass in den Rücken geschlagen und sei weitergelaufen (SY01). Eine Testperson erzählte, sie sei von Fremden mit einer Tasche geschlagen und laut beleidigt worden (IR01).
Insgesamt nannten fünf Testpersonen Fälle von Diskriminierung im beruflichen Kontext. Dazu zählten Nachteile im Bewerbungsprozess (SY01, IR01), das Nicht-Anerkennen ausländischer Abschlüsse (DA03) und die Benachteiligung am Arbeitsplatz (DA06), beispielsweise in Streitsituationen (SY01). Eine Testperson erzählte, dass ein Kollege nicht damit einverstanden gewesen sei, dass sie in Deutschland lebe und arbeite (DA02). Zwei Testpersonen erzählten, dass sie in Geschäften als Kunden schlechter behandelt werden (IR02) und nicht immer eine Antwort bekämen, wenn sie jemanden ansprechen würden (IR01). Zuletzt erläuterte eine Testperson, dass man zwar häufig nur an Diskriminierungen durch Deutsche denke, es aber auch innerhalb verschiedener Migrantengruppen zu Diskriminierungen käme, und nannte das Verhältnis von osteuropäischen und arabischen Migranten als Beispiel (DA05).
Die Testpersonen aus Afghanistan nannten etwas häufiger Beispiele im beruflichen Kontext und seltener Fälle verbaler oder physischer Gewalt als die arabischsprachigen Testpersonen. Allerdings gab es keine Unterschiede in der Definition von Diskriminierung nach Sprache oder Herkunftsland, sondern nur nach persönlichen Erfahrungen.
Eine Testperson aus Afghanistan kannte zudem das Wort „Diskriminierung“ nicht (DA02). Die Testperson war Analphabet und hatte mit mehreren Begriffen Schwierigkeiten. Der Dolmetscher erläuterte den Begriff, woraufhin die Testperson die Items ohne weitere Probleme beantworten konnte.
Weitere Befunde
Fünf arabischsprachige Testpersonen, insbesondere aus Syrien, beantworten zunächst den Fragetext anstatt der einzelnen Items (SY01, SY04, SY05, SY06, IR04). Sie gaben also allgemein an, wie oft sie in alltäglichen Situationen diskriminiert worden waren. In allen Fällen griffen die Dolmetscher ein, um das Missverständnis aufzuklären und leiteten die Testperson zum ersten Item.
Bei drei Testpersonen zeigten sich Probleme mit der Antwortskala. SY02 gab beim Lesen der Frage spontan an, dass sie ihre Antworten lieber in Prozent darstellen würde. Beim Beantworten der Items kommentierte sie weiter, dass sie schon einmal bedroht worden sei und hier daher mit „hundertprozentig“ antworten würde. Beim Besprechen ihrer Antworten machte die Testperson später einen anderen Vorschlag. Es würde besser zur Frage passen, wenn die Antwortmöglichkeiten die Anzahl an Vorfällen widerspiegelten, die man erfahren habe, also „einmal, zweimal, dreimal, viermal“. Der Dolmetscher gab dazu an, dass die arabische Übersetzung des Einleitungstexts eher der Formulierung „wie viele Male“ als „wie oft“ entspreche, was dazu führe, dass die Testperson die Antwortkategorien als nicht passend zur Frage empfinde. Eine weitere Testperson konnte sich bei den ersten beiden Items nicht auf einen Skalenwert festlegen und schwankte zwischen „selten“ und „manchmal“ (IR02). Sie begründete dies damit, dass diese Ereignisse immer wieder vorkommen würden, so dass es nicht als „selten“ zu bezeichnen sei, sie würden aber auch nicht „immer“ vorkommen, sondern in unregelmäßigen Abständen. Eine dritte Testperson wählt zwar auf Nachfrage hin Werte anhand der Antwortskala aus, beantwortet die Items beim Lesen aber zunächst mit „Ja, ist mir passiert“ bzw. „Nein, ist mir nicht passiert“. Diese Fälle deuteten alle darauf hin, dass die Nutzung relativer Häufigkeiten in der Antwortskala bei dieser Frage zu Problemen führte.
Vier arabischsprachige Testpersonen erzählten spontan in Bezug auf den Fragetext bzw. das erste Item von tätlichen Angriffen, die sie erlebt hätten. Diese Testpersonen wählten dennoch alle bei Item 9 die Antwort „nie“ aus, was von einem sehr engen Verständnis des Wortes „bedroht“ zeugt. Bedroht worden zu sein, schien sich, zumindest für diese Testpersonen, ausschließlich auf Situati-onen zu beziehen, in denen man den Drohenden persönlich kennt und diese Person Gewalt oder andere negative Konsequenzen androht, aber nicht tätlich wird. So erzählte SY02, dass sie einmal von ihr fremden Menschen auf der Straße vom Fahrrad gestoßen, ihr Fahrrad zerstört und sie geschlagen worden sei. Sie beantwortete Item 9 mit „nie“, weil sie diese Menschen nicht kenne und diese keine Drohung vor dem Angriff ausgesprochen hätten. Testperson SY04 erzählte, dass sie einmal von einem fremden Mann, den sie als Nazi einstufte, auf offener Straße angepöbelt und angeschrien worden sei. Sie habe nicht genügend Deutsch verstanden, um sicher zu sein, was er zu ihr gesagt hatte, und beantwortete Item 9 mit „nie“. Eine weitere Testperson erzählte, dass sie von Nazis geschlagen worden sei (IR04). IR05 erzählte, dass sie einmal in einem Zug ohne Anlass zu Boden geworfen und geschlagen worden sei. Sie bezog diese Erfahrung allerdings auf das erste Item zu unfreundlichem Verhalten und beantwortet Item 9 mit „nie“.
Einleitung: Der einleitende Fragetext sollte nicht als Frage formuliert sein und oberhalb der Matrix dargestellt werden, um zu vermeiden, dass die Testpersonen versuchen, die Einleitung statt des obersten Items zu beantworten:
„Bitte geben Sie an, wie oft Sie in Deutschland auf die folgenden Arten in alltäglichen Situationen diskriminiert wurden.“
Alle Items: Wir empfehlen, sämtliche Items ins Imperfekt zu setzen.
Item 1: Belassen.
Item 9: Belassen.
Weiteres Item: Da viele Testpersonen körperliche Gewalt als mögliche Form von Diskriminierung auffassten, empfehlen wir, dies in einem eigenen Item aufzuführen:
„Sie wurden geschlagen oder auf andere Weise körperlich angegriffen.“
Antwortformat: Wir empfehlen, die Antwortskala nicht mit relativen Häufigkeiten zu gestalten.
Für die meisten Testpersonen war ausschlaggebend, ob sie solche Erfahrungen bereits gemacht hatten. Wenn eine dichotome Abfrage ausreicht, können der einleitender Fragetext und die Antwortmöglichkeiten wie folgt formuliert werden:
„Bitte geben Sie an, ob Sie in Deutschland auf die folgenden Arten in alltäglichen Situationen diskriminiert wurden.“
„Nein, dies ist mir in Deutschland noch nie passiert.“
„Ja, dies ist mir in Deutschland schon passiert.“
Wenn eine mehrstufige Skala eingesetzt werden soll, empfehlen wir den oben aufgeführten einleitenden Fragetext und eine konkrete Abfrage der Anzahl an Erlebnissen:
„Nein, noch nie“
„Ja, einmal“
„Ja, zwei- bis dreimal“
„Ja, viermal oder öfter“
Eingesetzte kognitive Technik/en:
Comprehension Probing, Specific Probing, Emergent Probing
Itemtext
Aktiv getestet
Sie wurden unhöflich oder unfreundlich behandelt. (1)
Nein
Leute tun so, als hielten sie Sie für dumm. (4)
Itemtext:
Leute tun so, als hielten sie Sie für dumm. (4)
Empfehlungen:
Wir empfehlen, das Item weniger abstrakt, sondern anhand eines Beispiels zu formulieren:
„Jemand sprach mit Ihnen, als wären Sie dumm.“
Befund zum Item:
Wie äußert es sich, „jemanden für dumm halten“?
Vier Testpersonen äußerten Probleme mit der Formulierung des Items (SY05, SY06, IR05, DA02), wobei in allen Fällen der Kern des Missverständnisses die Unklarheit darüber, ob es darum ging, „sich dumm zu verhalten“ oder „für dumm gehalten zu werden“, war. Eine dieser Testpersonen fragte zudem, ob es darum gehe, dass sich jemand anderes auf eine Weise verhalte, dass man ihn für dumm halte, oder ob man sich selbst dumm verhalte (IR05). Zwei weitere Testperson verstanden das Item so, dass man für dumm gehalten werde, wenn man unlogische Dinge erzähle (SY06, DA02). Bei einer weiteren Testperson blieb unklar, ob sie den Itemtext verstanden hatte. Sie behauptete, nicht erklären zu können, wie sich „jemanden für dumm halten“ äußere, weil sie so etwas noch nie erlebt habe (IR01, Antwort: selten).
Die anderen 13 Testpersonen zeigten ein gutes Verständnis des Items. Zwei Testpersonen aus Syrien und vier aus Afghanistan erklärten, dass sich „jemanden für dumm halten“ vor allem darin ausdrücke, wie mit einem gesprochen werde. Eine Testperson nannte als Beispiel, wenn berufliche Anweisungen mehrfach wiederholt würden, obwohl sie schon beim ersten Mal deutlich gewesen seien (SY01). Eine weitere Testperson erklärte, dass sie das Deutsche ganz gut verstehe, sich aber selbst nicht gut auf Deutsch ausdrücken könne. Das störe sie beispielsweise, wenn sie sich in Gesprächen beim Einkaufen nicht gut artikulieren könne und sich ihr Gegenüber verhalte, als würde sie nichts verstehen (SY04). Auch eine andere Testperson äußerte Frustration darüber, dass andere glaubten, man würde bereits einfache Sätze nicht verstehen (DA03). Eine Testperson erklärte, dass sich zudem der Sprachton des Gegenübers ändere (DA04). Eine andere vermutete, dass Deutsche so tun, als würden sie sie nicht verstehen, als Ausrede, um sie schlechter behandeln zu können (DA05).
Insbesondere die arabischsprachigen Testpersonen erwähnten zudem Fälle, in denen sie vorgeführt oder gehänselt würden. So erzählten zwei Testpersonen, sie würden für dumm verkauft, wenn sich jemand über einen lustig mache (IR06) oder jemand einem etwas wegnehme (IR03) und so tue, als sei es Spaß. Eine Testperson fühle sich für dumm verkauft, wenn Deutsche verlangten, dass sie für sie im Bus aufstehe und den Platz freimache (SY03). Eine weitere Testperson erzählte, dass sie gutherzig sei und gerne gebe, was ihr häufig als Naivität ausgelegt werde (IR04).